METROPHONIE NO1 [be’li:n]

[…] wie  ich auf dem Bett lag, die Leere der Zeit meditierend, hörte ich, wie sich das Kratzen eines Federhalters, vielleicht eine Aufnahme dessen, der die Installationen vorgenommen hatte, in den Räumen verfing. In denen der Wohnung, in denen meines Empfindens und in denen meines Erinnerns. Nach einer halben Seite schwang sich das Kratzen auf; auf zu einem großen Vogelschwarm, da gleich hinter dem Türdurchgang zum Flur. Ein mächtiges Flügelschlagen, das sich erhob, endlos an dieser Öffnung vorbeizuziehen, die abgründiger wurde, je länger sie so durchklungen ward.

Die Klänge kamen von nebenan, doch aus einem Raum, den ich nie betreten können würde. Ein okkulter Raum, dem Auge verschlossen, so weit und tief man auch durch die weite Öffnung des Türrahmens blicken mochte. […] Ein diaphaner Vorhang, mehr noch: Umhang, der sich vor meine rationale Erkenntnis schob. Was in dem Zimmer, in dem ich mich befand, Klänge waren, die aus gut sichtbaren Boxen kamen, waren im anderen Zimmer schon Klänge, die einer anderen Welt entströmten.

Das Flattern wollte nicht enden, und ich fragte mich, ob es womöglich sein konnte, diesen Vogelschwarm, der hier aus den Klängen einer Füllfeder entfleucht war, nicht ebenso wieder einzufangen: Wie eine lebende Neumann-Schneidemaschine, die ansonsten die Schwingung des Schalls mit vibrierender Nadel in die Mutterform der Schallplatten einritzte, nunmehr mit den suchenden Fingern einer mitschwingenden Seele die Klänge in die weiße Fläche vor mir einfließen zu lassen, und ebenso wieder auslesbar machen zu können?

 

metrophonie_ausleger

[be’li:n] – Metrophonie No 1 ist Teil einer Forschung zu Sprache und Medium der Architektur. Programmatisch zusammengesetzt aus Metropole und Polyphonie, benennt der Neologismus die unausweichliche Synthese der Stadt mit ihren Klängen. Die Metropole – die Mutterstadt im Geflecht der Poleis – hat ihre Bedeutung auch als Mutter der Polyphonie; als bergender Umraum all jener vielschichtigen und kontrapunktischen Klangspuren die einer Metropole zueigen sind.

 

Die Arbeit ist unterteilt in 6 Abschnitte, den Movements. Der Ansatz der Movements spannt sich auf zwischen der (englischen) Bezeichnung für den Satz einer Symphonie und dem Inhalt eines Soundwalks. Anders als beim Soundwalk ist jedoch die eigene Bewegung weniger richtungsweisend und körperlich gedacht, sondern versteht sich zielloser und zufälliger, und greift das Innere Bewegt-Sein, die leibliche Anwesenheit in Klangatmosphären ebenso mit auf.

Damit ist die Arbeit ebenso ein Versuch, die geistige Reflexion und das Schreiben über Klänge hinüber treiben zu lassen zu den Wahrnehmungen und Empfindungen. Die Klänge sollen in ihren Anmutungen und Erscheinungen in den Text gebannt werden und von dort aus ebenso wieder „abspielbar“ sein. Durch das Lesen selbst soll die klangliche Empfindung demnach möglich sein.

Das Schreiben, bzw. die Sprache bietet zudem die Möglichkeit, etwas explizit zu benennen, auf Eigenschaften der Klänge in der Stadt hinzuweisen, die ansonsten unbenannt, nur implizit in einer Dokumentation oder Montage von Klängen mitschwingen würden. Die Sprache bietet sich als ein einheitliches Darstellungsmedium an, das Bild und Ton, aber auch olfaktorische oder klimatische Topologien zusammenfasst, ohne dass sie miteinander konkurrieren wie beispielsweise in einer audiovisuellen Dokumentation. Ihr wechselseitiges auftauchen kann vorherbestimmt werden, womit der Leser zielgerichtet durch den städtischen, architektonischen und leiblichen Raum, und die ihm jeweils innewohnenden Bedeutungen geführt wird.

 

 

Die Fassung als e-book ist in Vorbereitung.
Die Originalgrafik im Planformat (7″ + 10″ – Faltung, 8 Bögen) ist bei Studiourbanresonance erhältlich.

Ausgestellt bei der Ars Electronica 2012
Ausgestellt bei Klangatlas Leipzig 2008



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