BESTIMMTE RÄUME

Hören, Beziehung, Raum

Hören ist werden und vergehen eines dauernd offenen Organs. In uns eingelassen kommt Gehörtes zum Klingen, werden wir Durchklungene, wie es die Lage unserer Ohren illustriert, zwischen denen ein Zusammentreffen im Bewusstwerden des Klangs verortet werden kann. Solcherart sind wir nicht vor einem Klang, sondern im Klang selbst aus- und eingesetzt. Die klingende Welt dringt durch uns hindurch, wie umgekehrt wir die klingende Welt durchdringen und durchleben; wir nehmen Anteil an einem schwingenden Außen, das sich ins Innen fortsetzt. Darin ist Hören rezeptives Sein: sinnliche Empfindung des Einnehmens bzw. Aufnehmens. Die Haltung des Empfangens ist ein Teil der Beziehung, die wir durch das Sein im Phonotop aufnehmen, deren anderer die Sendung ist, also das, was an hörbarem von uns, jedem Einzelnen ausgeht. Diese Beziehung bspw. vom Sprechenden zum Zuhörenden verläuft als Urform nicht geordnet vom Einen zum Anderen, sondern ist latent im Chaos angelegt, das – über nur bestimmte Sendende und Empfangende hinaus – immer weitere mit einbezieht. Die Klangumwelt dringt von allen gewünschten wie ungewünschten Seiten zentripetal auf den Hörenden ein, genauso wie der Sprechende, Musizierende oder Lärmende, der Klang und Geräusch machende als Sender zentrifugal ebenso nach allen beabsichtigten wie unbeabsichtigten Seiten hin sich schallend ausdehnt. Aufbauend auf einem solchen Phänomen des Hörens liegt auf dieser ungefügten und strukturlosen Basis des Phonotops von der Seite des Klang produzierenden her die Eigenheit der Macht zum Raumgreifen, Raumeinnehmen im und durch den Klang bereit. Durch klingende Präsenz kann man sich eines zuvor noch anders gestimmten Raumes – und damit dem der anderen Anwesenden darin – ausgedehnt bemächtigen.

Architektur, Präsenz

hörstadt_symposion_2011Architektur und gebaute Umwelt treten in diese Klangbeziehungen strukturierend und bestimmend ein. Zuvorderst legen Sie durch die Organisation der Funktionen in der Landschaft, in Städten und Gebäuden die Netze, Räume und Orte an, die Ihre singulär präsenten und prägenden Klänge ausweisen. Mächtig und dominierend werden die verschiedenen Schallquellen darin durch mehrerlei, die Etablierung eines umfassenden Topos, also der Fähigkeit an möglichst vielen Stellen anwesend und präsent zu sein, und durch eine umfassende Zeitlichkeit, die als fortwährende Dauer, oder endlose Wiederholung Räume beherrschen. Architektur ist insofern eine Organisation der Sender.Gebäude, gebaute Umwelt im Ganzen, transformiert diese Klänge, der durch sie selbst geschaffenen räumlichen Anlage von Sendern aller Art, zusätzlich als akustisch wirksame Elemente durch Reflexion, Diffusion und Absorption und den dadurch entstehenden vielfältigen Effekten. Durch diese grundlegenden Eigenschaften definiert sie, wer wo seine Stimme erheben kann, wer wo präsent sein kann, entscheidet mit über die pure physische Präsenz (auch der Lautstärke) der Vielzahl an Sendern. In dieser Haltung des akustischen Aufnehmens und Abgebens ist sie auch ein Mittler, ein Bote des Sendens und Vorbote des Hörens.

Bestimmung Ritual

Die Architektur kann jedoch nicht als alleinverantwortlich genannt werden. Sind doch architektonische Räume immer als Potential bestimmt, d.h. sie können springen, sich neigen und wandeln, hin zu einer oder anderen Seite. So wie ein großer Raum oder Ort, als Raum der Masse, einer gemeinsamen Erfahrung, der Ein-Stimmung auf eine Stimmung dienen kann; im Ritual eines Symposions, eines Konzerts, oder einer Predigt zentral in der Aufmerksamkeit aller auf einen Punkt gerichtet, die genauso aber auch im öffentlichem Raum, auf einem Marktplatz oder in einer Bibliothek auf die Pluralität der verzweigten und verstreuten äußeren und inneren Stimmen gerichtet sein kann. Dazu sind schon vor der gebauten architektonischen Struktur gesellschaftliche Rituale auch als vorangelegte Herrschaftsverhältnisse in der Selbstdisziplin jedes einzelnen angelegt, die den herrschenden Klang zusammensetzen und ermöglichen.

Entwurf einer Subversion und Transformation

Es liegt insofern auch an der Autonomie jedes Einzelnen, sich durch Subversion dem herrschenden Klang entgegenzusetzen. Laute Verkehrsstraßen können dabei beispielhaft einen Freiraum zum Schreien ausbilden, der die eigene Sendekraft spürbar werden lässt. Oder der Sprecher vor einem Publikum kann sein Mandat niederlegen, und schweigend sich auf die Seite der Hörenden schlagen. In der akustischen Rückkopplung auf die politisch gewünschte gesellschaftliche Beziehung, treten ganz konkret Forderungen und Fragen an die Praxis der Architektur des Bauens heran. Vor dem Akt des Horchens und Gehorchens ist es notwendig bei einer Frage nach der akustischen Hegemonie die Architekturen des Sendens zu Befragen. Wunsch und sich als Problemstellung erweisendes Ideal wäre, den verzweigten Stimmen Raum zu geben, mannigfaltige Besetzungen einzuräumen und jedem Einzelnen im Gemeinsamen möglich zu machen. Dafür ist ein umfassendes Bewusstsein für die Seinsweisen und Rituale des Sendens und Empfangens notwendig.



Comments are closed.